@diplix & @RobGreen: not se arschloch is se problem, se tabu is et.

hallo felix, hallo robert,

ihr habt wieder interessante texte geschrieben und trotzdem fühle ich mich bemüssigt, darauf zu antworten.

robert schreibt, dass man ruhig mal seine dark-side-of-life rausholen und auch verbloggen soll. felix meint, dass über seine dunkle seite schreiben, nicht so toll ist wie dunkle schokolade, sondern eher meist so wie eigenlob und das stinkt wie buttersäure.

okay – geh ich mit. aber eben nur zum teil. jetzt also meine fünf cents zum thema.

ich habe für mich vor vielen jahren beschlossen, grundsätzlich mit meinen schwächen und „dunklen“ seiten offensiv und selbstverständlich umzugehen. warum? weil ich sie mir damit selbst farbig machen bzw. auf den schirm rufen und sie somit nicht ignorieren kann. das hilft mir, mit ihnen zu leben – mit diesen possierlichen kleinen dingern – sie zu hegen und zu pflegen. oder ich kann ihnen den garaus machen. oder wenigstens sie soweit zähmen, dass ich sie weitgehend kontrollieren kann.

so geschehen ist es mit dem rauchen. ich habe mir klargemacht, dass ich süchtig bin und noch locker zwei weitere jahre geraucht. ich habe dadurch bemerkt, dass mir die erste zigarette am morgen in etwa so lecker schmeckt und so gut tut, wie das knutschen und kuscheln mit einem grizzlybär. die irrwitzige laienhafte vermutung, dass ich kurz vor einem herzklabaster stünde, gab mir dann den rest. ich gab das rauchen auf – von einem tag auf den anderen. inzwischen sind mehr als 10 jahre vergangen, in denen ich natürlich immer mal bock auf einen glimmstängel verspürt habe. schräger weise war es mein saugreflex, der mich in alkoholisierter verfassung zum rauchen verführen wollte – was auch immer das unterschwellig über mich aussagen mag. aber zurück zum rauchen: weil mir in jeder situation bewusst war, dass „trockener-raucher-sein“ wirklich nicht nichtraucher sein bedeutet, konnte ich das eigene rauchverlangen aushalten und hab mir keine fluppe angezündet.

worauf will ich hinaus? ich habe das gefühl in einer welt zu leben, die die eigenen schwächen zum geschäftsmodell macht und vor allem deshalb machen kann, weil schwächen in der gesellschaft zu einem tabu werden. menschen haben ticks, schwächen, macken. manche sind vom gegenüber aushaltbar, bei anderen muss das gegenüber selbst lange daran arbeiten, um sie akzeptieren zu können. wir haben uns daran gewöhnt, dass ein gegenüber die eigenen macken nicht aushalten soll oder gar einfach als realität akzeptieren muss.

ich ertappe mich selbst dabei, wie ich manche gefühle nicht äußern oder schwächen nicht ändern kann oder will. ich sehe andere leute, die ihre problemchen mit sich herumtragen und ihre energie eher darauf verwenden, diese zu verstecken, anstatt die gleiche energie in die mögliche lösung oder eben wenigstens linderung des problems zu stecken.

und genau da setzen die geschäftsmodelle an. es ist ganz einfach: du musst schwächen, macken, ticks nur zu tabus erklären, dann läuft das business von ganz allein. dann kannst du bücher und unzählige andere produkte und beratungen verkaufen, mit denen die „tabu“-belasteten ihre schwächen abstellen können (sollen). so werden also u.a. meine „problemzonen“ zu unschicklichen tabus umgedeutet, die ich loswerden will/muss und für die ich zahlen sollte.

ich mag das spiel aber nicht mitspielen. ich muss lernen, mit den schwächen anderer menschen umzugehen. ich muss lernen, mit meinen unzulänglichkeiten zu leben. sicher – bei manchen problemfeldern kann ich veränderungen durch therapie oder durch veränderungen in meinem verhalten herbeiführen, sollte ich vielleicht sogar. in bezug auf andere menschen muss ich es einfach üben und ihre unzulänglichkeiten akzeptieren (lernen). beides ist verdammt schwer und sorgt natürlich für kleine und große konflikte. was einen entscheidenden vorteil hat: ich lerne auch noch, wie ich konflikte besser löse bzw. mit ihnen auch umzugehen.

fazit: menschen um mich herum und ich selbst – wir versuchen unsere eigenen schwierigkeiten zu verstecken, anstatt sie zu akzeptieren und an einigen zu arbeiten, bei denen es eine berechtigte aussicht auf besserung gibt.


Und hier das Video zum Schluss:

wie ich gerade erst sehe, hat johnny auch was zu euren beiden beiträgen geschrieben. das sei hiermit als lesetipp verlinkt spreeblick.com >>

darüber hinaus driftet die diskussion im netz gerade in richtung „mobbing“ ab (hier, hier und hier). das habe ich in euren beiträgen nur als teil des ganzen themas verstanden und eher so, als das ihr nicht besonders glücklich darüber seid, als kids oder teenager gelegentlich auch böse gewesen zu sein. ein faires „sorry“ würde aber sicherlich heute noch helfen, das war aber bei euch nicht wirklich zu lesen.

bless – jens

3 Kommentare

  1. „Die Tabuisierung von Fehlverhalten als Geschäftsmodell“ => so habe ich es noch nicht gesehen, obgleich ich auch Medien kritisiere, genau das getan zu haben. Einfluss zu nehmen, wie man kritisiert („more clicks“). Hm.. danke für den Gedanken!

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