Wie kann das Dorf der Zukunft aussehen?

 

Dies ist ein „long read“, der über die Zeit immer wieder verändert, erweitert und angepasst wird. Er ist quasi ein sich entwickelnder Werkstattbericht mit offenem Ende und aktuell auch noch offenem Ziel.

Zum kurzen Einstieg: Ich war im Urlaub, habe per Twitter eine Idee zu einem selbstverwaltenen „Dorfcafé“ per Twitter heißgelüftet und sammle nun im Anschluss die verschiedenen losen Fäden auf, die sich ergeben haben. Diese Fäden sind sehr sinnvolle (Lese)tipps von netten mittwitternden Menschen gewesen. In Summe geht es mir darum, wie ich eigene Erfahrungen und die anderer Leute eventuell verdichten kann, um dabei zu helfen, einige kleine Probleme in Dörfern womöglich anzupacken, zu lindern oder vielleicht sogar aus dem Weg zu räumen – durch Ausprobieren, Wissensmanagement und die Nutzung neuer Technologien ohne alte und greifbare Konzepte zu ignorieren. Das war schon kurz.

Jetzt haben Sie eventuell eine Vorstellung, was „long read“ bedeuten könnte …

Ausgangspunkt

Anfang August 2020 verbrachte ich samt meiner Familie eine Woche im Wendland. Dorthin verschlug es uns im Corona-Sommer, weil wir nicht ins Ausland in den Urlaub fahren wollten und einige Wochen zuvor – in der Lockdown-Phase 1 – zufällig in eine Reportage über Gorleben hineingezappt haben. Wir – meine Frau und ich – wir wollten genau dieses etwas andere Wendland im Anschluss kennenlernen.

Schon zuvor war ich Fan von Ruhe und Entspanntheit, wenn es um Urlaub ging. In den letzten Jahren fand ich die Idee auch jenseits von Ferien und Urlausborten spannend – der Gedanke, meine Heimatstadt Berlin gegen einen ruhigen Ort auf dem Land tauschen, der reift schon länger. Deshalb lese ich immer wieder Artikel in denen es um die Landflucht, Wandel oder schwierige Infrastruktur im ländlichen Raum geht. Beruflich tangiert mich das Thema „Neue Mobilität im Ländlichen Raum“ immer wieder und die Diskussionen um eine Verkehrswende.

Bei diesen Vorrausetzungen kommt es also nicht ganz von ungefähr, wenn ich im Urlaub glückselig auf der Terrasse unseres Ferienhauses sitze, über das Leben auf dem Land sinniere und die Eindrücke der paar Tage in der dünn besiedelsten Gegend der alten Bundesrepublik verarbeite. Und da waren natürlich sehr viele schöne Eindrücke: entspanntes Autofahren, ein durch die Kids hochgelobtes Freibad und eine sattgrüne Landschaft und Ruhe. Gleichzeitig glaubte ich auch die Schwierigkeiten in Bezug auf sterbenden Einzelhandel, Gastronomie und mangelnde Infrastruktur zu sehen. Wirtshäuser, die geschlossen waren. Hier und da leere Ladenlokale und viele Gegenden, in denen man telefonisch mit Edge gerade mal von einer Grundversorgung mit Telefonie sprechen kann oder eben von Ätsch.

So kam ich auf der oben beschriebenen Terrasse auf die Idee einen kleinen Thread bei Twitter zu starten. Ich wollte eine kleine Idee zur Diskussion stellen. Im Verlauf der nächsten zwei Tage entspann sich eine nette Diskussion, in deren Verlauf mir zahlreiche Links von verschiedensten Leuten empfohlen wurden. Ich möchte die Idee hier noch etwas ausführlicher beschreiben und auch die Links für spätere weitere Recherchen sichern.

Das Café aus meiner Jugend

Mit FreundInnen gründeten wir 1996 eines der ersten Internetcafés in Ostberlin – alles lief in Vereinsform mit Ausschankgenehmigung bis zu weinhaltigen Getränken. Diese bedeutete, es gab keinen harten Alkohol – ein Punkt, der sich im Laufe eines Café-Lebens durchaus als positiv erweisen sollte. Wir – das war ein Team von ca. 20 Leuten. Wir fanden uns im Alter zwischen 17 und etwa 20 Jahren zusammen. Entweder kannten wir uns über die Schulen oder über Sportvereine. In Summe waren wir Berliner Jugendliche bzw. junge Erwachsene, die erst ihre eigenen Technoparties organisierten und sich dann Stück für Stück in einem Jugendzentrum festsetzten und dort unseren eigenen Laden mit Duldung und Unterstützung des örtlichen Personals aufbauten. Das begann alles 1994 und mündete dann bereits 1996 in der Eröffnung eines Internetcafés … einem Laden der sechs Tage in der Woche ab 20 Uhr von uns jungen Erwachsenen in Eigenverantwortung bewirtschaftet wurde.

Für diesen kleinen Betrieb musste ein Verein gegründet und die Gemeinnützigkeit organisiert werden. Dadurch wurde das Café zu einem Zweckbetrieb. Das ist eines der Zauberwörtchen, will man einem Verein einen gut laufenden Firmenteil angliedern, um selbstverwaltet wirtschaften zu können. Das eingenommene Geld nutzten wir anfangs für den optischen und technischen Ausbau der Räumlichkeiten, später um größere Parties und Konzerte zu veranstalten. Donnerstags gab es neben dem Barbetrieb auch noch verschiedene kleine Events, wie Kino, Liveauftritte, Kickerturniere, Sportevents per Beamer auf der Leinwand schauen, verrückte Gamesabende, Quizrunden und Casino-Abende, aus diesem Konzept mit selbstgezimmerten Spieltischen wurde später eine komplette eigene Firma zweier Mitglieder des Vereins. Das Café gibt es noch heute – ich selbst habe etwas bis 2007 noch den Nachwuchs angelernt oder bei deren Parties die Aufsicht im Hintergrund „geführt“, um ihnen auch das eigene Entwickeln und Durchführen von Veranstaltungen zu ermöglichen und Skills zu erlernen. Ich durfte schon im zarten Alter von 18 bis 20 Jahren Tools wie Supervision, Mediation und verschiedene Maßnahmen für Teambuilding kennenlernen. Denn natürlich verlief unser Weg mit gut 20 Leuten nicht konflikt- und fehlerfrei ab. Wir mussten viel lernen und hatten sehr gute MentorInnen, die uns unterstützten.

Aus dem Team heraus gründeten sich über die Jahre verschiedene Firmen: eine Veranstaltungsagentur, eine komplette Schule für die Ausbildung von SpieleentwicklerInnen, eine Agentur für SEO- und SEA-Marketing, ein digitaler Fachverlag – und das sind nur die Unternehmen, von denen ich aktuell weiß.

Die Grundidee

Im Wendland sah ich zum 1. Mal einen Wurst- und Fleischautomaten und kurz zuvor einen Milchautomaten. An einem der Tage in meinem kurzen Urlaub war ich in einer Bäckerei mit zusätzlichem Tante-Emma-Angebot. Das erinnerte mich an die Zeit unseres selbstverwalteten Cafés. Deshalb kam ich auf die Frage: Könnte man das bereits lange bekannte Prinzip des genossenschaftlichen Cafés auf ein professionalisiertes und gleichzeitig charmantes reproduzierbares Dorfcafé-System skalieren und dafür eine Art Konzept aus Hard- und Software entwickeln? Quasi Systemgastro für den guten Zweck? So könnten die Leute doch in vielen Dörfern jeweils solch einen Laden auch ehrenamtlich starten und Stück für Stück so entwickeln, dass zumindest eine Mischung aus Ehrenamt und Teilzeit möglich wäre.

Dafür könnte man im ersten Schritt bereits existierende Konzepte sammeln und womöglich schon so aufbereiten, dass eine kleine Anleitung zur Gründung und Entwicklung eines solchen Ortes mit Technologien des 21. Jahrhunderts entsteht.

Mein konkretes Ziel wäre, Dörfern so einen sozialen Mittelpunkt zurück zu geben oder zu erhalten. Aus der eigenen Erfahrung weiß ich, dass Ehrenamt immer dann nervt, wenn man sich um die Bürokratie kümmern muss. Ein Konzept aus Hard- und Software sowie Wissensmanagement könnte hier wesentliche Prozesse übernehmen und für Vereinfachung sorgen. Ich stelle mir vor, dass man so eventuell noch manches Wirtshaus oder eine alte Tanke oder einen Tante-Emma-Laden für ein Dorf retten könnte. Und bei dem Leerstand, den ich vielerorts selbst sehe, dürfte es zumindest nicht an günstigen und interessanten gewerblichen Immobilien mangeln. Es  müsste also auch Teil des Konzepts, die notwendige Immobilienthematik zu wuppen.

Lokale ErzeugerInnen hätten mit – z.B. mit einem Netz aus Automaten – feste Vertriebspunkte. Die Abrechnung in dem Dorfcafé am Ausschank und die Bestellungen sowie Buchhaltung könnten ein System übernehmen. Die dafür notwendige Vereinsgründung vorab ließe sich doch auch fast schon automatisieren.

Der Impact wäre recht banal: Man schafft einen sozialen Treffpunkt, der auch noch die Verknüpfung mit lokaler Wirtschaft vertieft. Stellt man noch eine Ladesäulen und zwei eAutos vor die Tür, dann könnte es auch noch stationsbasiertes Carsharing geben. Auch dafür gibt es bereits passende Konzepte, die bereits in der Anwendung sind.

Im besten Fall entsteht ein Ort, der im Tagesverlauf z.B. Optionen für Coworking, Gruppentreffen und Weiterbildung bietet. Abends wird der Ort zum Café und Treffpunkt im Ort.

Die Sammlung

Zum Start solch einer Idee macht es aber ganz sicher Sinn, schon mal zu sammeln, wo und wie es solche ähnlichen Ansätze sch geschafft haben oder woran sie eventuell auch gescheitert sind. Deshalb stellte ich nach der kurzen Skizzierung meiner Idee auf Twitter die Frage: Wer kennt sich aus mit den oben beschriebenen Themen?

Im Ergebnis entwickelte sich ein reger Austausch, die teilnehmende Twitteria teilte sehr verschiedene Links, die ich hier zusammengetragen habe. Aktuell ist die Liste nur eine Bestandsaufnahme. Die Reihenfolge unterliegt keiner Regel oder Wertung. Zu einem späteren Zeitpunkt soll hier auch eine Ordnung entstehen, die einen besseren Überblick liefert. Darüber hinaus werden hier auch weitere Links abgelegt, auf die ich im Verlauf der weiteren Entwicklung stoßen werden.

Stichworte:

– Kontaktplattform
– solidarische Landwirtschaft
– Selbstverwaltung
– Reparaturwerkstatt / DIY

Zitat:

„Ein Problem von Dörfern sind marktbasierte Geschäftsmodelle. Basis dörflicher Ökonomie war aber immer schon die Gemeinschaft vor Ort. Das wird vielleichfach ignoriert. Besser ist es Geschäftsmodelle auf Basis einer intentionalen Gemeinschaft aufzubauen.“

Links:

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