Wenn Teenager ihre letzten Nischen an die Helikoptereltern verlieren

Du erkennst sie an ihren Jacken: Sie tragen Jack Wolfskin, The North Face oder Tommy Hilfiger. Sie tragen Bart, gern auch Brille. Einige von Ihnen tragen auch schon leicht schütteres Haar. Und sie stehen mehr an der Seite als das sie fahren, oft mit einem leicht besorgten Blick. Es sind diese besorgten Väter, die sich jetzt auch auf unserer – eigentlich sogar meiner – Lieblingseisbahn tummeln. Mit dabei haben sie auch ihre Frauen, die besorgten Mütter. Und natürlich sind da auch noch das Mädchen und der Junge mit Doppelname und Bindestrich. Alle Vier erkennst du. Denn sie passen nicht in diese Kulisse, die ich seit etwa 1994 besuche – meine Eislaufbahn im Osten von Berlin.

Als ich damals auf wackeligen Beinen das Eislaufen erlernte, da waren dort Kids und Jugendliche aus den Plattenbauvierteln der Umgebung. Sie waren auf den Kufen unterwegs wie Halbgötter. Es waren meist deutsche Kids, eher so Ronnys oder Pamelas. Bodenständig, manchmal ganz schön stumpf und eher nicht links. Ich fühlte mich damals nicht wirklich wohl dort. Und so wechselte ich in eine andere Eishalle – die sogar regelmäßig eine Eisdisko veranstaltete. Ja genau: Mit all dem schlechten 90er-Jahre-Eurodance-Trash.

Einige Jahre später fuhr ich wieder gelegentlich in die Halle von 1994. Sie hatte einfach die größere Eislauffläche und der Eintritt war günstiger. Inzwischen war das Publikum aber noch schlimmer geworden. Man musste schon mal Angst haben, von einem Jugendlichen als Linker wahrgenommen zu werden. Das hätte dann Stress bedeutet. Dazwischen gab es allerdings doch immer mehr Kids, die Russisch sprachen. Offenbar war ein Großteil der Russlanddeutschen in die umliegenden Plattenbauviertel gezogen. Es war spannend zu beobachten, wie die Deutschen Respekt hatten vor den Russen. Man beäugte sich, ließ sich aber in Ruhe. Das war zumindest mein Eindruck.

Vor ein paar Jahren startete ich einen neuen Versuch. Unser großer Sohn war in dem Alter, in dem man mit dem Schlittschuhlaufen locker beginnen konnte. Darüber hinaus gab es die Bahn mit der Eisdisko schon gar nicht mehr. Und siehe da: Es hatte sich in der Halle von 94 viel verändert.

Eine neue Security Crew und vermutlich auch ein neuer Betreiber hatten zu einem anderen Publikum geführt. Es waren ganz normale Menschen auf der Bahn. Es gab einen guten Querschnitt. Der rechte Pöbel war weg und man fuhr Menschen verschiedenster Herkunft, Hautfarbe und Kulturkreise über den Weg. Es war friedlich trotz kleiner Security-Mannschaft. Es machte sehr viel Spaß auf der Bahn zu sein und es war schön unserem Kind dabei zuzuschauen, wie es Stück für Stück ein sicherer Schlittschuhläufer wurde.

Inzwischen sind wir wohl schon wieder die dritte oder vierte Saison dabei. Wir kommen auf ein bis zwei Besuche im Monat. In dieser Saison änderte sich jedoch von Besuch zu Besuch das Publikum. Bestand es zu Beginn noch aus dem oben beschriebenen Mix, merkte man immer mehr, wie diese besorgten Eltern auftauchten. Sie leihen keine Schlittschuhe, wie es ein Großteil der Gäste eigentlich tut. Sie haben ihre eigenen Schuhe. Sie tragen Klamotten, die sie für arktische Expeditionen qualifizieren. Und sie schauen immer so besorgt drein. Für ihre Kinder tun sie alles. Sie blockieren Ein- und Ausgänge, damit IHRE Kinder ganz vorsichtig auf das Eis oder von dem Eis kommen können. Sie nehmen ihr Kind schützend zwischen sich und blockieren so die Bahn für all die Menschen, die schon fahren können. Sie schauen öfter erbost oder gar fluchend den Jugendlichen hinterher, die an ihren Kids etwas zügiger oder sogar übermütig vorbeifahren.

Am heutigen Sonntag waren diese Eltern – gefühlt – in der Überzahl. Natürlich dürfen sie da sein. Es ist ihr gutes Recht. Und sie dürfen auf ihre Kinder aufpassen. Sie dürfen besorgt sein. Doch sie zerstören auch eine Atmosphäre. Denn unter den bisherigen BesucherInnen waren eben auch viele Jugendliche, die wohl noch in dem Alter sind, in dem sie noch nicht durch die Clubs der Stadt ziehen dürfen. Es sind die Teenager, die sich grell schminken oder auf dicke Hose machen – in einem recht unschuldigen Umfeld namens Eisbahn. Dort posen sie, bandeln an, streiten sich, verlieben sich vielleicht sogar das erste Mal. Ich hatte in den vergangenen Jahren den Eindruck, die Eisbahn ist eines dieser letzten Refugien, in denen Teenager ganz ungeniert peinliche Sachen machen dürfen – ohne die Aufsicht besorgter Eltern. Man bildet Cliquen und trumpft auf mit Können auf dem Eis. Klar, da legt man ein Verhalten an den Tag, das einem einige Jahre später die Schamesröte ins Gesicht treiben wird. Aber das ist egal. Denn hier auf dem Eis zählen meist nicht die krassesten Klamotten. Hier zählten die coolen Schuhe und insbesondere das Können. Soziale Unterschiede sind weniger zu spüren, als ich es selbst erwartet hatte.

Doch nun wird dieses Biotop der Jugendlichkeit gestört. Eltern kommen in Scharen mit ihren Kids und helikoptern herum. Das ist schade. Und gleichzeitig ist es wohl wieder eine neue Phase in der Halle von 94. Womöglich muss man es einfach nur aushalten.

Und trotzdem frage ich mich: Wird es bald eine Elterninitiative geben, die gegen die fettigen Pommes und Limonaden vom Imbisswagen vorgehen will? Wird sich vielleicht sogar ein Elterngremium bilden, dass neue Eislaufregeln für die Halle aufstellen wird? Was wird aus dem trashigen Musikmix? Wird da zukünftig gruppendynamisch in einer Whatsapp-Elterngruppe über die Musikauswahl diskutiert? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, ich wünsche den Teenagern ihr Biotop zurück und mir ein Eislaufen, das mich relaxen lässt.

ps: Das Lied zum Text.