Ruhe in Frieden, Bernte!

  An einem Dienstag im März hat sich Bernd das Leben genommen. Er war ein paar Jahre älter als ich. Er muss so kurz vor der Mitte 40 gestanden haben. Bernd war der Punkerladen-Besitzer, der an der Ecke Rigaer- und Samariterstraße eines der letzten Überbleibsel eines längt vergangenen Berlins war.

Um uns herum gentrifizierte der Friedrichshainer Kiez. Bernte betrieb trotzdem seinen Laden, organisierte Punkkonzerte, unterstützte Punkbands als Labelmacher und trat manchmal wohl noch selbst als Sänger von Punkbands auf. Mich verbinden zwei kleine Geschichten mit Bernd über ungefähr 20 Jahre. Beide sind die Brücken zwischen einem Spießer, wie mir, und einem der Mann, der für mich Punk als alternative Lebenseinstellung vertrat.

Wann Bernd und ich uns genau kennen lernten, weiß ich gar nicht mehr. Jedenfalls bewegten wir uns in der gleichen Jugendkultur in Berlin-Treptow. Meine Homebase war das „Audio„. Das ist heute noch ein Café in einem großen Jugendzentrum. Viele Freunde und ich bauten es seit 1994 auf. Im „Audio“ veranstalteten wir damals immer wieder Session-Abende mit Musikern und so müssen sich Bernd und ich über den Weg gelaufen sein. Er war der Punkrocksänger, ich der Indiepop-DJ. Wir verstanden uns, ohne enge Freunde zu werden.

Im Jahr 2000 gaben Die Toten Hosen und Die Ärzte einige Geheimkonzerte. In Berlin sollten beide Bands im SO36 auftreten. Meine ehemalige Freundin hatte über den Ärzte-Fanclub zwei Karten für einen echt schmalen Preis geschossen.

Wer das SO36 in Berlin-Kreuzberg kennt, weiß wie unpassend der Laden für diese beiden großen Bands eigentlich war. Zumindest wenn man an die Tickets denkt. Es gab viel zu wenige und ich war glücklich, eine Karte zu besitzen. Bernte hatte ich im „Audio“ von meinem Glück erzählt und er fragte mich, ob ich ihm mein Ticket für zwei Tage leihen würde. Ich vertraute ihm, also bekam er meine Karte.

Zwei Tage später stand er grinsend vor mir. Er zeigte mir ZWEI Karten und fragte mich, welche davon wohl mir gehören würde. Ich konnte es nur anhand eines klitzekleinen Schnittfehlers vermuten. Bernd hatte für sich und seine Freunde insgesamt 7 Tickets angefertigt. Jahre später erzählte er mir, wie er fieberhaft das Material zusammengesucht hatte, um Originalkarten mit Prägung nachzuahmen. Er hatte es geschafft und dabei mehr als den dreifachen Preis pro Karte aufwenden müssen.

Am Abend des Minifestivals trafen wir uns durch Zufall direkt am Einlaß des SO36. Wir zeigten unsere Karten vor und konnte beide passieren. Ich erinnere mich noch an unser fettes Grinsen.

Während des Gigs verloren wir uns aus den Augen. Doch zum Schluss des Hosen-Auftritts stand da plötzlich Bernte auf der Bühne, Arm in Arm mit Campino und gröllte den letzte Song. Mit gefälschtem Ticket bis auf die Bühne – das konnte nur Bernte schaffen.

Ein paar Jahre später ergab es sich, dass ich für die Platten- und Bookingfirma der Toten Hosen arbeitete. Ich war für ein paar Jahre der Tourmanager der Ohrbooten, einer Berliner Band, die bei den Hosen unter Vertrag stand. Und wieder ein paar Jahre später, die Ohrbooten waren schon nicht mehr bei den Hosen, wurde Bernte der neue Merchandiser der Ohrbooten. Er baute einen neuen Online-Shop für die  Kombo auf, kümmerte sich um Entwicklung und Vertrieb, war auf Touren mit einem ausgefeilten Merch-Stand dabei.

2013, ich war schon längst nicht mehr der Tourmanager der Ohrbooten, lud mich die Band ein, doch wieder mal für ein Wochenende in den Tourbus zu steigen. Einfach als Freund mitfahren. Und da ergab es sich, dass Bernd an einem Wochenende nicht als Merch-Mann mitfahren konnte. Ich wollte seinen Job übernehmen und ließ mir sein wirklich extrem fein ausgefeiltes Konzept erklären. Ich habe binnen zwei Stunden Gespräch so viel mehr über Fankultur gelernt, wie sonst nirgendwo. Und das, obwohl ich ja jahrelang selbst dabei war.

Ich habe Bernd hoffentlich würdig auf dem Tourwochenende vertreten. Zuerst spielten die Jungs auf einem kleinen Festival im Saarland, danach auf ganz großer Bühne auf dem Chiemsee-Reggae. Ich hatte eine wunderbare Zeit und war Bernd seitdem sehr dankbar.

In den letzten beiden Jahren lief ich fast täglich an seinem Laden vorbei, wir grüßten uns. Manchmal verhakelten wir uns in einem Gespräch über Musik, neue und alte Punkkultur oder endeten in kleinen gesellschaftspolitischen Debatten. Da kam ich dann schon mal eine Stunde später nach hause als gedacht.

Ende April wird Bernd nun beerdigt und ich finde hoffentlich die Zeit, ihm anständig „Good bye“ zu sagen. Seiner Familie, seinen engen FreundInnen und KollegInnen wünsche an dieser Stelle einfach nur ganz viel Kraft.

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