Zwei Euro Dreißig

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Heute Morgen habe ich es verpasst, an der richtigen U-Bahnstation auszusteigen. Zum Glück fiel es mir auf der Fahrt zur nächsten Station auf. Ich entschied mich, den Weg zu Fuß zum Büro zurückzulegen. Das Wetter war einfach zu bzw. ist noch viel zu gut, um wegen ein paar hundert Metern noch mal die Bahn zu nehmen.

An der Ecke Rosenthaler Straße und Torstraße sprach mich ein junger Mann an und bat mich um ein paar Cent. Ich verneinte und ging weiter. Sekunden später stutzte ich. Hatte ich dem Mann doch geantwortet, ohne in mein Geldsäckel zu schauen. Ich hatte also kategorisch abgelehnt, dem Mann überhaupt meine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Kurzerhand entschied ich mich, in mein Porte­mon­naie zu schauen, fand tatsächlich kein Kleingeld, aber einen 20-Euro-Schein.

Ich drehte mich nach dem Mann um und sah, wie er gerade die Tür zu einer Bäckerei öffnete und ich folgte ihm. Als ich neben ihm am Backstand ankam, wollte er gerade ein gekochtes Ei kaufen. „Kann ich dir einen Kaffee spendieren?“, fragte ich ihn. Ich glaube, er fühlte sich ertappt.

Er wich zurück: „Nein, nein – ich möchte nur das Ei kaufen.“

„Magst du noch ein Brötchen dazu?“, fragte ich wiederum.

„Mach ich so einen Eindruck auf dich … ach ja, ich hab dich nach Kleingeld gefragt.“

„Easy“, meinte ich, „kein Ding.“ Zur Verkäuferin gewandt: „Ich bezahle das Ei.“

Die Verkäuferin gab dem Mann sein Kleingeld zurück und mir auf 20 Euro heraus. Der Unbekannte bedankte sich bei mir, ich gab ihm vom Wechselgeld noch ein 2-Euro-Stück, wünschte ihm einen schönen Tag. Danach verließ ich die Bäckerei.

Erst auf der anderen Straßenseite fiel mir auf, wie einfach diese Situation aus meiner Perspektive eigentlich war. Für mich ist es – zum Glück – kein Problem einen Menschen mit einem klitzekleinen finanziellen Beitrag in einer unmittelbaren Situation schnell zu unterstützen. Dies eigentlich nicht zu tun, dafür hatte ich mich zuerst noch viel schneller entschieden. Ich glaube, ich habe da inzwischen einen Reflex, den ich mir wieder abtrainieren muss. Einen Reflex, der mich gelegentlich davon abhält, Menschen etwas zu geben, das für mich eigentlich kein Aufwand bedeutet, ihnen aber hilft.

Die Frage, die ich mir selbst noch beantworten muss: Will ich nicht geben oder will ich das Elend nicht sehen, das um mich herum existiert? Ist die digitale Filterbubble inzwischen sogar eine, die sich schon auf mein reales Leben ausgedehnt hat? Denn mal schnell ein paar Euro über Paypal an ein Projekt zu überweisen, fällt mir leichter. Vielleicht ist das so, weil es clean, weit weg und trotzdem unmittelbar ist? Ich weiß es nicht – muss noch darüber nachdenken.

Mir ist klar, dass ich dem Mann nicht im Großen geholfen habe, aber vielleicht im ganz ganz Kleinen – für einen Moment. Ich habe auch keine große Tat begangen, die es wert ist, hier veröffentlicht zu werden. An dieser Stelle ist nur wichtig: Dieser Reflex nicht zu helfen, ist ein Problem. Wenn ich jedoch darüber schreibe, kann ich ihn mir wieder bewusst machen.