Westberlin und die merkwürdige Sehnsucht nach den alten Bildern.

Ich bin waschechter Ostberliner. In den Siebzigern geboren, kam ich bis zu meinem 14. Lebensjahr in den fragwürdigen Genuss ostdeutscher Erziehungsideen und wurde natürlich auch komplett mit diesem Antikapitalismus-Dingens geimpft. Damals™ war definitiv sehr vieles nicht besser, aber diese „Der Kapitalismus ist doof“-Nummer hilft mir noch heute, in vielen Situationen nicht überrascht zu sein – ich habe da keine romantischen Erwartungen an das Gesellschaftssystem. Der Kapitalismus ist ganz sicher doof, andere Systeme sind aber noch dooferer.

Nun aber zurück zur Überschrift. In den letzten Jahren mehren sich (gefühlt) die TV-Berichte über das alte Westberlin – das Berlin, welches ich nicht kennenlernen konnte und in den ersten Jahren nach der Wende komischer Weise auch nicht kennenlernen wollte. Ab 1990 war ich ja faktisch in der Pubertät und mit mir beschäftigt, sowie meiner auf voller Front fehlenden Coolness.

Wenn jetzt also diese Dokus über die eingemauerte Stadt im TV laufen, bemerke ich bei mir immer wieder eine riesige Neugier nach Bildern dieser alten und ‚versunkenen‘ Stadt. Ich will plötzlich wissen, was da in den Achtzigern auf der anderen Seite passiert ist, wie die Gegenden damals™ aussahen.

Inzwischen trage ich mich sogar mit dem Gedanken, alte TV-Serien zu kaufen, um meinen Nachholebedarf zu stillen. Liebling Kreuzberg mit Manne Krug, Praxis Bülowbogen mit olle Pfitze oder Drei Damen vom Grill mit Brigitte Mira und Harald Juhnke – ich habe die Serien damals™ auch beim SFB gesehen, aber heute schaue ich bei solchen Flimmerbildern weniger auf die Story, als viel mehr auf die Bilder der mir unbekannten Stadt Westberlin. Es gibt Momente, in denen ich die Sendungen anhalte, um auf dem Standbild genauere Details zu betrachten.

Wenn ich so zurückdenke, war das gerade als Mensch an der Grenze zu Westberlin eine echt verrückte Situation. Ich wuchs mit dem Radiosender RIAS2 auf, sah abends gelegentlich ARD/SFB/ZDF und SAT1. Und trotzdem war selbst am 8. November 1989 für mich nicht denkbar, dass wir eines Tages wieder eine Stadt Berlin haben würden. Der Westen war medialer, fast fester Bestandteil meines Lebens – und trotzdem so weit weg.

Im Abklingen meiner Pubertät spielte Westberlin trotzdem keine Rolle, obwohl ich in den frühen Neunzigern natürlich jederzeit die Möglichkeit hatte, den ehemaligen Westteil der Stadt zu besuchen. Stattdessen war die Mitte des alten Ostens spannend. Für mich als spätpubertierenden Technofan waren Clubs wichtig, wie das WMF am S-Bahnhof Hackescher Markt, der Tresor an der Leipziger Straße oder sogar die Treptower „Insel der Jugend“. Die Clubs im Westen kannte und kenne ich bis heute nicht. Warum auch? Der Osten war, bedingt durch die ungeklärten Immobilienverhältnisse einfach das kreativere Pflaster, auf dem die wirklich verrückten Ideen umgesetzt werden konnten.

Heute ist mein Interesse groß. Ich kann nur nicht sagen warum. Aber es macht Spaß die mir unbekannte Stadthälfte neu – real und medial – zu erkunden.