Von der Ambivalenz des digitalen Hanswurst

Nein, es folgt nicht der Abgesang auf das Internet, dass eh noch Neuland ist, oder auf die Printwelt, die angeblich schon tot sein soll. Es folgt? Meinung.

In den vergangenen Tagen wurde viel debattiert über den Verkauf von Tageszeitungen und Magazinen des Axel Springer Verlages an die Funke-Gruppe. (u.a. dw.de >>) Da wurde der Untergang des Springer-Konzerns mit lautem Trallala besungen, JournalistInnen riefen ihre MitstreiterInnen zum gruppendynamischen Ausstieg aus dem Journalismus auf – mal lauter, mal leiser. Wieder andere Menschen bejubelten den voranschreitenden Sterbeprozess des gedruckten Schmuddelwortes aus dem Hause Springer.

Am Ende saßen alle Leute rund um das digitale Lagerfeuer und diskutierten durch ihre Blogbeiträge, Facebook-, GooglePlus- oder Twitter-Updates. Wie an so einem Feuerchen üblich, entstehen da Grüppchen, die eher dem Stammtisch-Niveau frönen, andere suchen eher den hochtheoretischen und zugleich tiefvergeistigten Diskurs über den Untergang der abendländischen Medienkultur und wollen die maximal negativsten Folgen schon ausgelotet wissen.

Und wo saß ich? In meinem Bürostuhl meines kleinen mitgegründeten Unternehmens, dass wir als einen digitalen Verlag beschreiben und auch verstanden wissen wollen. D-i-g-i-t-a-l-e-r V-e-r-l-a-g? Genau, das klingt paradox und zeigt allein schon deutlich, wo meine Ambivalenz zu finden ist. Ich bin der digitale Hanswurst, der seinen Weg vom Schüler zum Medienfuzzi, vom zu ängstlichen Graffitimaler, über den Schallplattendreher zum digitalen Arbeiter über gut 20 Jahre sehr konsequent gegangen ist und dabei immer beide Seiten geliebt hat – die analoge Papierwelt und Digitalien.

Vor diesem Hintergrund bekomme ich immer wieder Angst vor Schwindelanfällen, wenn ich die Diskussionen höre, in denen die apokalyptischen Bilder epischer Untergangszenarios an geistige Wände geworfen werden. Print werde sterben! Der gute Journalismus wird sterben! Die Qualität wird sterben! Ich glaube, ich sollte Friedhofsbesitzer werden oder wenigstens Bestatter, so wie der Soulsänger Solomon Burke. Es gibt da in naher Zukunft, laut Neuland-BewohnerInnen, offenbar sehr viel zu tun. Nur glaube ich da nicht an die Verheißungen der selbsternannten VerkünderInnen.

In meiner täglichen Arbeit bin ich also voll und ganz in digitalen Welten unterwegs und versorge Industrie-Profis mit Informationen, die sie für ihre tägliche Arbeit in irgendeiner Form gebrauchen können. Bei dieser Arbeit konnte ich immer wieder lernen, wie sehr ich in meiner digitalen Welt verhaftet bin und kaum noch merke, wie da draußen die Uhren in anderen Branchen ticken, jenseits des quietschbunten Medientellers. Stellt euch das mal vor: Dort wirkt PRINT noch! Dort kann man sehr gutes Geld mit Print verdienen. Dort lesen Menschen noch lange Texte auf totem Holz. Dort nehmen LeserInnen Anzeigen auch noch wahr und schließen dann >ACHTUNG< digitale Abos ab!!! Per FAX!!! ... Damit wäre der kurzfristige Beweis angetreten, dass es durchaus noch ein recht vitales Leben in der Welt des toten Holzes gibt. Um die Beweislast noch zu erhöhen, will ich kurz eine Beobachtung preisgeben, die ich an meiner Person gemacht habe. ICH kaufe tatsächlich immer wieder Magazine mit aufwendig bearbeiteten Papier und zu einem Preis, der manchmal schmerzt, weil er den Gegenwert eines Musikalbums erreicht hat. Aber ich kaufe sie, immer und immer wieder. Seit Jahren. Und ich kaufe KEINE Tageszeitungen, seit über 10 Jahren nicht mehr. Ich kaufe auch keine wöchentlichen Politik- oder Gesellschaftsmagazine. Ich kaufe Hefte zu hochspezialisierten Themen, wie aktuelle Kunst oder neue Technologien. Hefte, in denen ich komplexe Zusammenhänge erklärt bekomme und für die ich mir Zeit nehmen will und muss. Ich kaufe auch Bücher - gelegentlich - die besonders hochwertig sind, allein schon in ihrer Buchbinder- und Druckkunst bestechen. ICH KAUFE PRINT ... ABER? Ich kaufe keine Massenware mehr. Ich kaufe gedruckte Medien, die in relativ kleinen Auflagen produziert werden und besonders hochwertig verarbeitet wurden. Und da sehe ich die Entwicklung der gedruckten Worte hingehen, die mir als Papierfetischist das Herz höher schlagen lässt. Bücher, Magazine, vielleicht auch die Wochenzeitung werden überleben können. Im kleinen, feinen Rahmen und sie werden als Verlängerung digitaler Inhalte funktionieren können, als Sonderausgaben, als Luxuskarossen der Medien. Ich glaube fest daran, dass Print immer mehr zum Luxusartikel wird und damit auch eine positive Auswirkung auf Qualität mit sich bringen muss. Der Massenmarkt dürfte es dagegen schwer haben - zu schnell und zu einfach finden Menschen schon jetzt flüchtige und kurzlebige Informationen in den digitalen Welten. Dafür braucht es Print vermutlich wirklich nicht mehr. Arbeitsplätze werden auf der Strecke bleiben, vielleicht sogar sehr viele. Aber warum sollte eine Branche davor auch verschont bleiben? Das gab es immer und wird es wohl auch immer wieder geben. Kapitalismus ist so. Während ich selbst also mein Geld mit der digitalen Informationsverarbeitung und digitalem, schnellen Journalismus verdiene, gebe ich mein Geld aus für den entschleunigten, besonderen Wert des gedruckten Wortes und Bildes wieder aus. Schöner kann ich mir das Leben mit Wort und Bild kaum vorstellen.