Andreas Kümmert kümmerts nich mehr

Gestern Abend zappte ich mich durch ein belangloses Fernsehprogramm, kurz bevor ich ein Video aus der hauseigenen Mediathek anschauen wollte. Dabei blieb ich beim deutschen ESC-Vorausscheid hängen und hatte einigen Spaß.

Da siegte ein Mann im Televoting, der so gar nicht in das Glitzerparadies Eurovision Song Contest passen wollte. Andreas Kümmert passt ganz klar auf die kleinen Bühnen des Landes. Auf die Bretter, die den Rock-n-Roll bedeuten, vielleicht. Immer ein wenig schmutzig oder sogar noch verraucht. Oder er passt auf die Bühnen der liebevoll und engagiert veranstalteten Open-Airs bei Stadtfesten oder auf kleine Campus-Festivals, deren VeranstalterInnen auch mal einen TV-Star auf ihrer Bühne haben wollen. Mit Hoodie-Jacke, kaum getrimmten Wurschtelbart und eben nicht gegelten Haaren ist er der Mann, der direkt aus dem Bild fällt – wenn er denn im falschen Rahmen platziert wurde.

Und genau das ist ihm passiert. Warum? Das weiß bisher kaum ein Mensch. Vielleicht nicht mal er selbst. Fakt ist jedenfalls, dass er sich gestern beim Vorentscheid des Eurovision Song Contests vorfand. Er sang brav seine zwei braven Songs und zog dann direkt ins Finale ein. Vermutlich schon zu diesem Zeitpunkt wollte er eigentlich vor der glamourös in Szene gesetzten Barbara Schöneberger auf die Knie gehen und sie bitten, dass ihn irgendjemand aus diesem Glitzerparadies abholen sollte. Zumindest kann man im Nachgang seinen Blick so deuten, als er erfuhr, dass er sich in die Finalrunde gesungen hatte.

Doch Andreas kümmerte sich und sang den braven Song ganz brav ein weiteres Mal. Die Zutaten waren passend: Einen Fond aus Pop als saftige Grundlage, ein wenig rockige Fleischeinlage, eine Prise Soul oben drauf und als Sättigungsbeilage einen Text, den man im „Come-In-And-Find-Out“-Deutschland auch so anbieten kann.

Und dann gewinnt er. Gegen eine Sängerin mit dem Namen Ann Sophie. Die ebenfalls einen leicht verdaulichen und Top-40-Radio kompatiblen Titel vorgetragen hatte. Andreas gewinnt gegen eine junge Frau, die schon perfekt gestylt in den Glitzerpalast ESC passte. Und die vielleicht wirklich gewinnen wollte. Warum auch nicht? Warum geht man sonst zu einem Wettbewerb?

Bei seiner Siegerehrung merkt man dem Mann seine Fassungslosigkeit sofort an. Vielleicht war er angetreten um sich ein wenig Aufmerksamkeit zu ersingen, die ihm für die Zukunft die kleinen Clubs vor den kleinen Bühnen etwas voller machen würde. Vielleicht war er davon ausgegangen, nicht ins Finale zu kommen, bei all den attraktiven Damen, wie Laing, Ann Sophie oder Alexa Feser. Und so hatte er vielleicht gar nicht darüber nachgedacht, was ein Sieg für ihn als Folgen mit sich bringen würde.

Er findet kurze knappe erste Worte und die müssen auf die ARD-Verantwortlichen gewirkt haben, wie ein Autounfall*. Crash, Boom, Bäng! Andreas will nicht nach Wien fahren und übergibt selbstverständlich seinen Sieg an die Zweitplatzierte. Punkt. Fassungslosigkeit. Punkt.

Und dann ist da eine Barbara Schöneberger, die die Situation rettet. Sie hat offenbar schnell erkannt, dass Andreas Kümmert seine Worte ernst meinte. Sie versuchte ihn nicht zu überreden, sie hakte höflich und klarstellend nach, ABER sie trieb ihn nicht in die Ecke. Ann Sophie nahm den Sieg fassungslos an. Denn jetzt wurde klar, dass sie wirklich dabei sein kann – dabei beim großen Zirkus „The Show Must Go On“. Die Stärkere setzt sich durch. Ein Gesetz, dass auch vor dem Pop nicht Halt macht.

Somit gab es vielleicht wirklich zwei Sieger. Andreas Kümmert, der sich nun nicht dem unermesslichen Druck der kommenden Wochen aussetzen muss, dem er vielleicht eh nicht gewachsen wäre. Und Ann Sophie, die vielleicht wirklich große Lust auf den Stress der kommenden Monate hat. Weil sie – vollkommen legitim – diesen Weg gehen will.

Ich persönlich hätte mich doch eher über die Teilnahme von Andreas Kümmert gefreut. Denn das Bild der deutschen Poplandschaft hätte mit seinem markanten Aussehen vielleicht ein recht positives Image im Ausland erfahren können.

Es gibt aber etwas ganz ganz feines an diesem Rückzieher von Kümmert für mich. Die Reaktion eines Teils des votenden Publikums. Schon kurz nach dem lustigen Ende der Show witterten einige Menschen Schiebung und forderten bei Facebook und Twitter ihre paar Groschen zurück, die sie kurz zuvor beim Televoting „auf den Kopp gekloppt“ hatten…

… oder um es mit Worten Guido Westerwelles auf den Punkt zu bringen: „Es ist Deutschland hier.

*Danke an Dani, die diesen Vergleich auf Facebook brachte.

Ein Kommentar

  1. Immer wieder gerne ;) Und Du hast Recht. Sehr Deutsch, jetzt das Geld zurückzuverlangen.

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